Victoria Groß

Enkeltochter eines Opfers der nationalsozialistischen Verfolgung der Sinti*

Victoria engagiert sich für die Rechte von Sinti* und Roma*, weil sie die Diskriminierung und Benachteiligung ihrer Mutter miterlebt hat.
Flucht und Verlust von Heimat sind prägende Themen in Victorias Familiengeschichte.
Victoria ist in der politischen Jugendbildung aktiv, und sie klärt unter anderem über Vorurteile gegenüber Roma* und Sinti* auf.
Victoria setzt sich in der FDP für die Chancengleichheit von Sinti* und Roma* im Bereich der Bildung ein.

Victoria Groß lebt in Nordrhein-Westfalen und arbeitet als pädagogische Fachkraft. Sie engagiert sich in der FDP, in verschiedenen Initiativen und beruflich gegen Diskriminierung und Antiziganismus sowie für Menschenrechte und das Empowerment von jungen Sinti* und Roma*.

Victorias Urgroßmutter Emma Spindler und Victorias Großmutter Agathe Spindler wurden als Sinti* verfolgt. Agathe Spindler überlebte versteckt in einem Kloster. Die meisten der anderen Familienmitglieder mütterlicherseits wurden ermordet.

Victorias Großmutter väterlicherseits, Lotte Streit, gehörte zur deutschsprachigen Bevölkerung der Tschechoslowakei, und ihr Großvater väterlicherseits, Gerhardt Städter, kam aus Schlesien.

Historischer Hintergrund

Sinti* und Roma* in Deutschland

Die Begriffe Roma* und Sinti* bezeichnen teils sehr unterschiedliche Personengruppen mit vielfältigen Erfahrungen, Hintergründen und Geschichten; darunter jenen von NS-Verfolgung, aber auch von Zuwanderung.

Sinti* sind seit rund 600 Jahren im Gebiet des heutigen Deutschlands ansässig, Roma* seit dem 19. Jahrhundert. Etwa 70.000 Sinti* und Roma* besitzen heute die deutsche Staatsbürgerschaft. Darüber hinaus leben ca. 80.000 Roma* ohne deutsche Staatsbürgerschaft in Deutschland. Viele Roma* kamen ab den 1950er Jahren als Arbeitskräfte nach Deutschland. Auch flüchteten viele in den 1990er Jahren vor den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien. Gemeinsam ist den Sinti* und Roma*, dass sie immer wieder Erfahrungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung machen.

Verfolgung von Sinti* und Roma* im Nationalsozialismus

Roma* und Sinti* wurden im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet.1 Angehörige der Minderheit wurden außerdem unfruchtbar gemacht. Sie mussten Zwangsarbeit leisten und in Zwangslagern im Deutschen Reich leben. Mitarbeiter*innen der „Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“ fertigten rassistische Gutachten an, die als Grundlage für die Deportation von Angehörigen der Minderheit dienten. Ab Mai 1940 ließ die Kriminalpolizei zehntausende Sinti* und Roma* in nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager im besetzten Polen deportieren. In den deutsch besetzten Gebieten Ost- und Südosteuropas erschossen Mordkommandos von Polizei und SS zudem zehntausende Roma*.

Am 16. Dezember 1942 unterzeichnete der Reichsführer SS Heinrich Himmler den sogenannten Auschwitz-Erlass, der die Deportation europäischer Sinti* und Roma* in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau anordnete. Dieser Erlass stellt den Beginn der Verschärfung der Verfolgungspraxis dar, die auf die Auslöschung der Kultur und des Lebens der Sinti* und Roma* abzielte. Dem Genozid fielen nach aktuellem Forschungsstand schätzungsweise bis zu 500.000 Roma* und Sinti* aus ganz Europa zum Opfer. Die Gesamtzahl aller in Europa Ermordeten ist bis heute unbekannt.

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1 Die Begriffe Roma* und Sinti* bezeichnen teils sehr unterschiedliche Personengruppen mit vielfältigen Erfahrungen, Hintergründen und Geschichten; darunter jenen von NS-Verfolgung, aber auch von Zuwanderung.

Diskriminierung von Sinti* und Roma* nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach 1945 waren Sinti* und Roma* weiterhin mit Ausgrenzung und Diskriminierung konfrontiert.1 So führte die Kriminalpolizei sogenannte Landfahrerkarteien ein, in denen Roma* und Sinti* erneut systematisch erfasst wurden. Nach dem Krieg kämpften Angehörige der Minderheit jahrzehntelang für die Anerkennung des im Nationalsozialismus erlittenen Unrechts. Die Bürgerrechtsbewegung und der Zentralrat der Sinti und Roma erreichten im Jahr 1982, dass der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt die NS-Verbrechen an Sinti* und Roma* als Genozid anerkannte. Erst dreißig Jahre später wurde in Berlin das „Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas“ eingeweiht. Bis heute erleben Roma* und Sinti* in vielen Lebensbereichen, gerade auch in Bildungseinrichtungen, Ablehnung, Misstrauen und Diskriminierung.

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1 Die Begriffe Roma* und Sinti* bezeichnen teils sehr unterschiedliche Personengruppen mit vielfältigen Erfahrungen, Hintergründen und Geschichten; darunter jenen von NS-Verfolgung, aber auch von Zuwanderung.
Mit der von uns interviewten Sinteza Victoria Groß, die selbst Volksgruppen nicht gendert, haben wir uns auf die Schreib- und Sprechweise Sinti* und Roma* für die Onlineausstellung und die Bildungsmaterialien geeinigt. Wir sind uns bewusst, dass es in der Minderheit und in verschiedenen Selbstorganisationen zur Frage geschlechtergerechter Bezeichnungen unterschiedliche Positionen gibt.

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Bildung kann Leben retten
Aufgrund des Genozids und der über Generationen hinweg erlebten Diskriminierung im Bildungsbereich haben viele Sinti*-Jugendliche ein kompliziertes Verhältnis zu staatlichen Bildungseinrichtungen, was sich zusätzlich zur alltäglichen Diskriminierung an Schulen negativ auf ihre Bildungschancen auswirkt.